Dolce Vita mit Arschgeige

Wir sind in Italien, zwei Wochen Sommerurlaub, Sonnenschein, süßes Nichtstun und sich bei lauer Brise am Wasser räkeln. Die Erfahrung vieler vorangegangener Jahre, zur selben Zeit, am selben Ort, im gleichen Haus, haben uns Pläne schmieden lassen. Barbusig auf dem Liegestuhl im Olivenhain den Nachmittag in süßem Ferienphlegma vertrödeln, Ausflüge in irgendwelche immergleiche Bergdörfer, um postwendend zu vergessen, wie sie denn hießen oder was man dort erlebt hat. Im Vorfeld wurde die To-Do-Liste des heiteren Zeitvertreibs in heißen Zeiten immer länger und wir zusehends unempfänglicher vor Warnungen ob der doch immensen Temperaturen. Wir haben ja schließlich mal in Griechenland gelebt! Völlig nebensächlich eigentlich, dass unsere wilden Wanderjahre durch die Hitze Europas schon Jahrzehnte vorüber waren und uns bei genauerer, jetziger Betrachtung auch nicht immun gegen Temperaturen zwischen Erzgießerei und Fritteusensitzbad machten.

Unsere Urlaubsagenda entsprach also einem größeren Staatsbesuch und die halluzinierte Hitzeresilienz glich der einer Beduinenfamilie. Eine Woche später haben wir uns damit abgefunden, dass die Olivenbäume abgebrannten Fackeln gleichen. Der Salbei ums Haus so aussieht, als hätte man ihn schon vorsorglich in der Pfanne gebraten und wieder an die Stängel geklebt. Zähneknirschend wurde akzeptiert, dass die vor gefühlten 100 Jahren erworbene Hitzeverträglichkeit schon längst durch irgendeine Schweißpore ausgeschieden wurde, und man ergab sich dem hitzeinduzierten Tageslockdown von ca. sechs Stunden. Hermetisch abgeriegelt verbringen wir den größten Teil des Tages in verdunkelten Räumen und träumen von Regenwolken, die sich trocken lachend schon vor Monaten in Richtung Irgendwoandershin verzogen haben. Die Vorstellung, dann wenigstens ums Haus und durch die Gegend zu wandern, wurde mit großem Zapfenstreich und vielen Tränen an umherziehende Wildschweinhorden übergeben. Bis dato haben wir allerdings, außer auf vermeintlichen Videobeweisen der Nachbarn, noch keines der Raubtiere gesehen. Lediglich in der ersten Nacht kruschelte und raschelte es unter meinem Fenster und im Halbschlaf dachte ich, meine insomnische Mutter wandere durch die Flure, doch dann grunzte etwas. Ich schlief beruhigt wieder ein und schnarchte den Schweinen ein Willkommen.

Tagsüber eingeschlossen, lauscht man den Grillen, die gar unbekümmert und ohne Pause auf ihren gut gestimmten, kleinen Insektengeigen fiedeln. Der Chor orgelt in perfektem Gleichklang dahin, bis eine Grille auftaucht, bei der das Instrument defekt zu sein scheint. Wir haben sie die Arschgeige getauft, weil die anderen immer einen Baum weiterziehen, wenn sie anfängt zu spielen. Auftritt Arschgeige, es entsteht eine kurze, peinliche Pause beim Publikum, das Orchester flieht zum Gewächs nebenan und dieses Prozedere wiederholt sich so lange, bis man einmal ums Haus gegrillt ist. Die Grillen draußen, wir grillen drinnen.

Wenn das letzte Baumkonzert verstummt, ist es Zeit die Hitzegefangenschaft zu beenden, vorsichtig die Lamellenläden zu öffnen, nach draußen zu blinzeln und sich auf mehrstündigen Freigang zu freuen. Damit die Arschgeige sich nicht so schlecht fühlt, obwohl sie ehrlich gesagt eine wahnsinnige Nervensäge ist, haben wir angefangen zu applaudieren. Dann weiß der Rest ihrer räudigen Sippschaft wenigstens, dass es auch Fans für die schiefsten Töne gibt.

Nun muss ich mich für heute verabschieden, habe jetzt Freigang, halte Sie aber weiterhin auf dem Laufenden.