Der Text basiert auf einer Tarot Karte, die für mich gezogen und per Mail verschickt wurde. Daraus entstand diese etwas despektierliche, düstere Geschichte im Rahmen einer Online-Ausstellung auf arcanamuc.art. *Vorab noch für alle Ahnungslosen: Arthur Edward Waite war einer der Erfinder des Tarots, seine Schwester Frederika verstarb unter nicht näher beschriebenen Umständen.*
The Empress
Manchmal wäre es ihr lieber gewesen, Arthur hätte sie einfach umgebracht. Zack, tot, kein Happy End und vorbei. An Tagen, an denen sie sich tot wünschte, war alles aussichtslos, unendlich unabänderlich und sie konnte kaum atmen.
Gefangen in der Wiederholung einer schmerzhaft repetitiven Endlosschleife, hatte sie versucht sich zu widersetzen, wie ein kleines, trotziges Kind die Füße in den Boden gestemmt, während der Albtraum sie an der Hand weiterzog. Es war zwecklos, der Schmerz im Kopf wurde unerträglich und die Bilder hinter ihren geschlossenen Augen so blutrünstig, dass sie nachgab, sich ihrem Schicksal ergab und weitermachte.
Sie hatte ihren Bruder ausgelacht. Immer wieder und einmal zu viel. Gepiesackt hatte sie ihn, beim gemeinsamen Abendessen mit den Eltern, bei diversen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Die Heimlichtuerei schien so läppisch, wenn er sich mit den anderen Spinnern traf und sie so taten, als könnten sie zaubern, Menschen verfluchen und das Universum manipulieren. Lächerliche Männchen, die albern kostümiert in dunklen Stuben hockten und sich auch noch etwas darauf einbildeten. „Hermetischer Orden der Goldenen Dämmerung“ nannten sie sich und hatten sonst nichts zu tun, in ihren privilegierten, nutzlosen Leben. „Firlefanz, billige Jahrmarktzauberei und Egozentrismus des verzogenen Patriachats“ war aus ihrem süffisant lächelnden Mund gekommen, als er von seinem affigen Kartenspiel erzählte, das angeblich die Zukunft voraussagte. Ihr Fehler, nicht zu ahnen, dass der eitle Gockel sich rächen wollen würde. Als aus vagem Wollen final ein sicheres Können wurde, ließ er sie verschwinden. Arthur hatte ihren Tod als tragisches Ertrinken ohne den Fund einer Leiche inszeniert. Sie lachte auf bei der bitteren Wahrheit, dass ihr Scharlatan-Bruder doch gewonnen hatte.
„Frederika, noch 5“ die heisere Stimme des Disponenten und ein lautes Klopfen an der klapprigen Garderobentüre rissen sie aus ihren Gedanken. Sie holte hastig das Kleid vom Ständer, rümpfte die Nase, weil es immer noch nicht in der Reinigung gewesen war und die roten Rosen auf der weißen Seidentunika inzwischen wie ein Komposthaufen rochen. Als sie drinsteckte, stank es nur noch halb so schlimm, während der Kamm grob durch ihre blonden Haare fuhr, um die Locken in Form zu bringen. Keine Ahnung, wie er es fertiggebracht hatte, aber hier war sie nun in der illustren Gesellschaft all der anderen Idioten, die sich mit ihm angelegt hatten. Zweimal am Tag ging es in die Karte, auf ihren Empress-Thron, die schwere Krone auf dem Kopf, Zepter in der Hand. Sie konnte ihn aus weiter Ferne lachen hören, während sie sich in Pose setzte und dem Leben, das keines mehr war, bittere Tränen hinterher weinte.
Doch eines Tages geschah das Unmögliche. Ihre Karte wurde gezogen, ihr Auftritt, sie war dran und was sie normalerweise als nichtssagendes Laientheater abspulte, verselbständigte sich. Bilder fluteten ihren Kopf, sie spürte die Zukunft der Menschheit und auch ihre eigene. Unendliche Hitze, die aus der Karte quoll. Gleißendes Licht strömte aus ihrer Dermis, während der Brustkorb platzte. Als die Wirklichkeit in jeden Winkel zerbarst, begrüßte sie lachend ihre Freiheit und wünschte Arthur Edward Waite zum Abschied einen Platz in seiner eigenen Hölle.